Nachruf für den Zeitzeugen Leslie Schwartz
Zwischen 2014 und 2016 war Leslie Schwartz mehrfach Gast am Gymnasium Dionysianum.
In Kursen in Katholischer Religion und in Geschichte in der Oberstufe, aber auch in Klassen und Kursen der achten und neunten Klasse in Geschichte und Katholischer Religion sprach er als Zeitzeuge von seinen Erfahrungen als junger ungarischer Jude und als Holocaust-Überlebender. Er schilderte die schlimmen Erfahrungen mit Antisemitismus und Ausgrenzung in seiner ungarischen Heimat, die Deportation nach Auschwitz und die glückliche Rettung durch seinen jüdisch-ungarischen Freund vor der unmittelbaren Vernichtung, die ihm in Auschwitz gedroht hätte, wäre er im Kinderlager geblieben.
Sein Freund hatte ihn aufgefordert sich als erwachsener Mann auszugeben, um mit ihm auf einen Transport als Sklavenarbeiter nach Dachau zu gehen, was ihm zumindest vorerst das Leben rettete.
Leslie Schwartz erzählte von der harten Sklavenarbeit in Dachauer Außenlagern und schließlich von den dramatischen Ereignissen in und um den Mühldorfer Todeszug, die er nur knapp überlebte. Ein damals 14- und 15jähriger sprach zu heute 14-, 15- und 16jährigen Schülerinnen und Schülern unserer Schule – nicht nur von den deutschen Verbrechen und den Schrecken der damaligen Zeit, sondern auch von Hilfe, Menschlichkeit und Hoffnung, die ihm auch von einzelnen Deutschen – z. B. einer einfachen Bäuerin – geschenkt wurden.
Leslie Schwartz berichtete auch stolz von der späten Anerkennung seiner Leiden, aber vor allem seines Engagements als Zeitzeuge durch Politikerinnen und Politiker des deutschen Staates und zeigte voller Stolz sein ihm dafür verliehenes Bundesverdienstkreuz am Bande nebst einem Brief der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Seine Ausführungen und seine Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern, die ihm gespannt und berührt zuhörten, aber auch die Gespräche am Rande zeigten Leslie Schwartz als einen Botschafter der Versöhnung, der in der Begegnung - vor allem mit jungen - Deutschen der Jetztzeit für sich Heilung erfahren durfte für das, was Deutsche ihm in seiner Jugend angetan hatten.
Nach den Zeitzeugenverstaltungen haben meine Frau und ich Leslie Schwartz persönlich begegnen und ihn als Zeugen der Hoffnung und der Menschlichkeit erleben dürfen. Sein Tod erfüllt uns mit Trauer; zugleich sind wir sind froh und dankbar ihn kennengelernt zu haben. Unsere Anteilnahme gehört seiner Frau Annette Schwartz und seiner Familie. Shalom!
Das Kollegiums des Dionysianums dankt Herrn Schwartz von Herzen dafür, dass er so positiv auf unsere Schülerinnen und Schüler einging, damit nichts vergessen wird.
Hans-Werner Halsband Oliver Meer
Fr., 11.04.2014, MV
Leslie Schwartz besucht Schüler des Gymnasiums Dionysianum
Holocaust-Überlebender leistet heute Versöhnungsarbeit
Stolz präsentierte der Holocaust-Überlebende Leslie Schwartz (84) den Schülern das Bundesverdienstkreuz, das ihm im vergangenen Jahr verliehen worden ist.
Rheine - Einen ganzen Vormittag lang hat der Holocaust-Überlebende Leslie Schwartz am Donnerstag Schülern des Gymnasiums Dionysianum von den Schrecken der Judenverfolgung im Dritten Reich berichtet. Auf Einladung des Geschichtslehrers Hans-Werner Halsband war der 84-Jährige, der seit dem vergangenen Jahr das Bundesverdienstkreuz trägt, in die Schule gekommen. „Als der Tag der Befreiung im April 1945 für mich kam, war ich ein 15-Jähriger der seiner Familie beraubt und mutterseelenallein war“, berichtete er in seinem Vortrag.
Von Paul Nienhaus
Zudem war der junge Mann, der nur durch einen Trick den Gaskammern in Auschwitz entkommen war und in den Außenlagern des KZ Dachau schwere Zwangsarbeit hatte leisten müssen, schwer verletzt worden. Ein Hitlerjunge hatte im „Mühldorfer Todeszug“ zum Ende des Krieges auf ihn geschossen und ihm eine schwere Gesichtsverletzung zugefügt.
Wie durch ein Wunder überlebte Schwartz Krieg und Konzentrationslager. Anschließend wanderte er nach Amerika aus. Viele Jahre verdrängte er die furchtbaren Erlebnisse. Mit 80 Jahren begann Schwartz, der heute abwechselnd in Amerika und in Münster lebt, Vorträge in Schulen zu halten.
Für seine Informations- und Versöhnungsarbeit erhielt Leslie Schwartz, der in Ungarn geboren wurde, 2013 das Bundesverdienstkreuz. Stolz zeigte er den Schülern den Orden und einen persönlichen Brief von Bundeskanzlerin Angela Merkel, den diese nach einer Begegnung in Münster verfasst hatte. „Ich komme zu Euch als Zeuge für das, war Menschen im Guten wie im Bösen leisten können“, rief Schwartz seinen Zuhörern zu.
Nachruf für Leslie Schwartz
Als Beitrag zum Thema: 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs und Befreiung vom Nazi-Regime brachte das Fernsehen auf ARD-alpha die Geschichte des Mühldorfer Todeszuges. Begegnungen gegen das Vergessen. Ein Lehrer des Franz-Marc-Gymnasiums in Markt Schwaben hatte in jahrelanger Arbeit mit seinen Schülern die Geschehnisse um diesen Zug erforscht. Albert Hingerl, der Erste Bürgermeister von Poing, wo der Zug am 27. April 1945 einen Halt einlegen musste wegen eines Getriebeschadens an der Lok, hatte 65 Jahre nach dem Geschehen einen Gedenkstein eingeweiht, der an den Tod vieler Gefangener aus diesem Zug erinnern sollte.
Der Jüngste in diesem Todeszug war Lászó Schwartz, der gerade 15 Jahre alt geworden war. Er war am 12. Januar 1930 in der ungarischen Kleinstadt Baktalorantaza geboren. Im April 1944, nachdem die deutsche Wehrmacht in Ungarn einmarschiert war, wurden innerhalb eines Monats 400ooo ungarische Juden nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Bei der Selektion auf der Rampe sah er seine Mutter zum letzten Mal, neben ihr seine drei Jahre jüngere Schwester Judith. Die sechs Monate alte Halbschwester Eva trug die Mutter auf dem Arm. László musste mit seinem Stiefvater gehen, der ihn aber in das Kinderlager schickte in der Hoffnung, dass man mit den Kleinen eher Erbarmen hätte. In einer Warteschlange trifft er Sandor, den älteren Bruder eines Freundes aus dem Heimatort. Er hält sich an diesen und mischt sich am nächsten Morgen auch in den Zug von Männern, die als Zwangsarbeiter nach Dachau gebracht werden, von wo sie schließlich im Nebenlager Allach landen. Diese Zwangsarbeiter werden für Gleisreparaturen benutzt oder in die bayrische Motorenfabrik geschickt oder zum Kalktütenschleppen für ein neues Fabrikgebäude. Alle diese Arbeiten sind für den 14jährigen und bei der schlechten Ernährung auf die Dauer tödlich.
Da hat er das Glück, dass ihn ein Oberscharführer und Aufseher als seinen Privatsklaven benutzt. Der hat auf dem Bahnhof eine Bude zur Verfügung, wo er sich mit seiner Geliebten trifft. László muss diese Bude in Ordnung halten und Wache schieben, wenn der Aufseher "Besuch" bekommt. Lásló selbst ist vor allem auf der Suche nach Essbarem. Eines Tages spricht er deshalb eine Frau an, die bei dem Anblick des Jungen in Tränen ausbricht und ihn monatelang mit Brot und Lebensmittelkarten und Geld versorgt, was sein Leben rettet.
Am frühen Morgen des 24. April 1945 sind die Amerikaner schon so nahe, dass die Gefangenen zu Fuß zum Bahnhof getrieben werden. Nach einer Nacht im Freien verlässt ein Zug mit über 3.600 KZ-Häftlingen das KZ-Außenkommando Mühldorf, eines von 169 Außenkommandos des Konzentrationslagers Dachau. In 60 bis 80 Waggons sollen die vorwiegend ungarischen Juden nach Süden, nach Tirol, gebracht werden. Das Ziel: Keiner der Häftlinge soll das Kriegsende überleben.
Den Halt benutzt die Wachmannschaft, um sich ihrer Uniformen zu entledigen. Sie reißen die Waggons auf und schreien den Gefangenen zu: Alle sind frei! Als die Gefangenen in Poing die Waggontüren offen sehen, ist die erste Überlegung, wo man zu essen finden wird. Mit zwei Leidensgenossen erreicht László einen Bauernhof. Die Bäuerin setzt den Jungen an den Küchentisch, stellt ein großes Glas Milch vor ihn und gibt ihm eine Scheibe Brot mit Butter. Da öffnet sich die Tür, bewaffnete Soldaten /Hitler-Jungen zwingen die Entlaufenen zurück zum Todeszug. Seine Kollegen retten sich in ein Schlafzimmer und verstecken sich unterm Bett, aber László versucht zu fliehen, doch sein junger Verfolger schießt tatsächlich. Die Kugel trifft ihn von hinten im Nacken und entweicht an seiner Kinnlade. Viele seiner Leidensgenossen verlieren bei diesem Anschlag ihr Leben.
Nach 3tägiger Fahrt halten amerikanische Soldaten in Tutzing den Zug endgültig an. László wird im deutschen Militärkrankenhaus gegen Typhus behandelt und am Kiefer operiert und dann ins Flüchtlingslager für Displaced Persons überwiesen. Ein 15jähriger muss nun ganz allein sein weiteres Leben planen.
Zwar hatte sein Vater Verwandte in den USA gehabt, aber László weiß die Adresse dieses Onkels nicht. Zum Glück versucht aber seine Verwandtschaft von sich aus Überlebende der Familie Schwartz ausfindig zu machen. Als er ihren Brief mit sofortiger Einladung nach Los Angeles erhält, weiß er, dass er doch nicht ganz allein auf der Welt lebt. Und so wurde aus dem László ein Leslie.
Jahrzehnte lang hat er über die Geschehnisse dieser Odyssee durch Oberbayern geschwiegen. Seit 1984 zieht es ihn jährlich mit seiner deutschen Frau aus dem westfälischen Münster zwischen den jüdischen Feiertagen Pessach im Frühjahr und Rosch Haschanah im Herbst in ihre Heimatstadt. 2010 erfährt er ganz zufällig von der Gedenksteinsetzung durch Bürgermeister Albert Hingerl in Poing. Erst durch die Begegnung mit den jungen Menschen des Franz-Marc-Gymnasiums in Markt Schwaben bricht er sein Schweigen. Jahrelang spricht er als Zeitzeuge und erinnert sich, wie er Auschwitz, Dachau und den Todeszug nach Tutzing überlebte.
Und nun ist Leslie Schwartz im 91. Lebensjahr am 12. Mai dieses Jahres in Miami/Florida verstorben; am 12. Januar hatte er dort noch seinen 90. Geburtstag feiern können.
Text von Gertrud Althoff
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